Thomas Zimmermann, Waldschuljahre 1964-1969

Thomas Zimmermann ist heute Unternehmensberater, Trainer und Coach in Berlin und leitet dort ein eigenes Beratungsunternehmen (www.synthesis-Berlin.de)

Als ich Ostern 1964 in die Waldschule kam, war 3 Jahre zuvor der Neubau mit Aula und angrenzenden Klassenräumen in Betrieb genommen worden, alle anderen Gebäude hatten einen starken Waldheimcharakter. Unser Klassenzimmer lag über der damaligen Küche, gleich neben dem Rektorat (und damit gut kontrollierbar). Es war ausgestattet mit festverbundenen Stuhl-Tischkombinationen, und ich wundere mich noch heute, dass so viele Kinder in den kleinen Raum passten.
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Unser Klassenlehrer war Herr Siebert, aber eigentlich lenkte Frau Dr. Rapp die Geschicke unseres Haufens. Herr Kiemle unterrichtete Mathematik und begann den Unterricht der ersten Stunde immer mit gleich bleibend guter Laune und einem Kanon, den ich noch heute singen kann: „Jeden Morgen geht die Sonne auf ...“ Als Kinder fanden wir das doof, erst viel später habe ich verstanden, was er damit bezweckte – und er hat es erreicht. Frau Dr. Rapp war für Deutsch zuständig und hat mit ihrer freundlichen Beharrlichkeit bei mir (und sicher auch bei vielen anderen) den Grundstein zum Verständnis und der Handhabung nicht nur der deutschen Sprache gelegt. Sie war und ist für mich bis zum heutigen Tag ein ganz besonderer Mensch: Ausgestattet mit viel Empathie, Liebe zu Beruf und Kindern sowie einer gesunden Portion Moral, Gelassenheit und Verstand hat sie das Leben vieler ihrer Schützlinge positiv beeinflusst – meines sicher auch.
Gut erinnerlich ist mir auch die Schulversammlung, die jeden Mittwoch in der ersten Stunde in der Aula stattfand. Frau Dr. Rapp berichtete Wissenswertes aus dem Schulalltag, Herr Müller-Cant spielte auf dem Flügel und Schüler trugen etwas vor. Das stabilisierte die Schulgemeinschaft sehr und machte immer wieder deutlich, dass wir alle zusammen gehörten. Im Winter war Mittwoch früh Eislaufen angesagt, und Frau Dr. Rapp stand mit einem Handtuch am Rand um uns, wenn es schneite, die Haare wieder trocken zu rubbeln.

Im zweiten Schuljahr (also der 6. Klasse) durften wir in den Pavillon umziehen und waren damit der Kontrolle des Rektors, Herr Städtler, ein wenig entkommen. Ziel war, in der 10. Klasse dann vorne, im Neubau bei der Aula, anzukommen. Letztlich sind wir dann aber wieder in einem Pavillon gelandet, und das kam so: Der Neubau mit der Aula wurde 1966 erweitert und bekam im Auslauf eben diesen Pavillon dazu. In den durften, weil er der Kontrolle am meisten entzogen war (meine Vermutung), dann die Abschlussklassen. Als die Bauarbeiten begannen, halfen viele Schüler an Samstagen, das Grundstück von Pflanzen und Gestrüpp frei zu machen und so ein wenig Kosten einzusparen. Diese Aktionen machten nicht nur Spass, sondern verbanden die Kinder auch mit dem neuen Projekt.
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Schule selbst gehörte (wie sicher bei anderen auch) nicht so sehr zu meinen Interessenschwerpunkten. Dennoch verbrachte ich viel Zeit und viele Nachmittage dort – mit außerunterrichtlichen Aktivitäten. Es gab u.a. eine Fecht-AG, die mich nicht so sehr interessierte, eine Tennis-AG, an der ich teilnahm und vor allem eine Theater AG, die für mich zentral war. Außerdem gelang es mir, mit Hilfe einer Lehrerein im 8. Schuljahr eine „debating society“ zu gründen. Die war inspiriert von einer amerikanischen Austauschschülerin in meiner Familie, die mir aus ihrer society an der amerikanischen Schule berichtete. Es passte auch in die Zeit: Ein erstes Grummeln in der Studentenschaft wurde 1967 laut, der Tod von Benno Ohnesorg in Berlin eskalierte die Situation, und so gelangten politische Diskussionen auch in die Stuttgarter Schülerschaft.

Im 8. Schuljahr wurde ich Klassensprecher, im 10. Schuljahr Schulsprecher und durfte so im Stuttgarter Schülerparlament tagen, das seine Sitzungen im großen Sitzungssaal des Rathauses abhielt. Es gelang mir, für die Schülervertreter ein kleines Büro zu bekommen, wo diese sich treffen konnten, und die Teilnahme bei Lehrerkonferenzen zu erstreiten (mit Unterstützung diverser Lehrer), um dort bei allgemeinen Schulthemen den Standpunkt der Schüler zu vertreten. „Mehr Demokratie wagen“, dieser spätere Satz von Willy Brandt lag damals schon in der Luft. In diesem Jahr entstand auch die SMV-Satzung, die die Mitwirkungsrechte der Schüler an der Gestaltung der Schulgeschicke beschrieb. Ich hatte damals den ersten Entwurf gemacht, der von den politischen Ereignissen von 1968/1969 geprägt war, und Herr Kiemle strich liebevoll und in fairer Diskussion alle allzu radikalen Ansätze wieder heraus. Auch außerhalb der Politik war an der Schule was los: Es wurden, vor allem mit Hilfe meines Freundes Rainer Cichy, einige tolle Parties in der Aula mit Lifebands gefeiert und so ein finanzielles Fundament für die Arbeit der SMV geschaffen.

Im Sommer 1969 war dann alles vorbei: Mit Abschluss der 10. Klasse musste ich die Waldschule verlassen, um am Zeppelingymnasium das Abitur ablegen zu können. Beim Wechsel dorthin half wieder Frau Dr. Rapp, die mir –bereits im Ruhestand- durch Intensivunterricht in Französisch half, ein Jahr aufzuholen, da das Zeppelingymnasium im neusprachlichen Zug bereits ein Jahr früher mit Französisch angefangen hatte.

Was ist das Resumee meiner Schulzeit? Ich verdanke der Schule und ihren Lehrern ausgesprochen viel. Die prägende Zeit meines Lebens wurde dort positiv beeinflusst. Mein Wertesystem, das heute noch mein Leben und meine Arbeit strukturiert, wurde dort wesentlich geformt, ich hatte Freiraum zur persönlichen Entwicklung und habe außerhalb des Unterrichts mindestens soviel gelernt wie innerhalb. Toleranz, Offenheit und die Gestaltung eines konstruktiven Miteinanders habe ich dort ebenso gelernt wie den Menschen immer in seiner Gesamtheit wahrzunehmen. Ich bin mir sicher, dass diese Erfahrungen einen wesentlichen Anteil an meinem beruflichen Erfolg als Berater, Trainer und Coach bei Unternehmen in ganz Deutschland haben. Ich bin kein Workaholic, aber bis heute gibt es für mich keine wirkliche (inhaltliche) Trennung von Beruf und Freizeit, so wenig wie damals die Trennung zwischen Unterricht und außerunterrichtlichen Aktivitäten – es gehörte und gehört alles zusammen. So darf ich mich heute zu den glücklichen Menschen zählen, die ihren Traumjob gefunden und als Lebensaufgabe begriffen haben – und daran hat meine Zeit in der Waldschule einen erheblichen Anteil. Vielen Dank an alle Mitwirkenden – Lehrer wie ehemalige Mitschüler!

Dezember 2008

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