Günther Schäfer, Waldschuljahre 1956-1960
Ich selbst war Schüler der Waldschule von 1956 – 1960.
Mein Zeugnisheft trägt den Stempel „Privates Progymnasium für Jungen und Mädchen
(früher Privatoberschule Mozer)“
Die pädagogische Idee, eine Schule mit Ganztagesbetreuung anzubieten, war vor 50 Jahren sicherlich äußerst selten, um nicht zu sagen exotisch. Die Waldschule war ihrer Zeit weit voraus. Heute wird der Aufbau dieser Schulart propagiert, ist staatlich erwünscht und wird entsprechend subventioniert.
Die Zählung der Schuljahre damals begann nach der Grundschule mit der Ziffer I, dem heutigen 5. Schuljahr. Schuljahresbeginn und Ende waren im April eines jeden Jahres.
In meiner Klasse I war die Schulleiterin, Frau Dr. Rapp auch meine Klassenlehrerin.
In Klasse II war es Frau Heyer.
In Klasse III war Herr Kiemle Klassenlehrer unserer Klasse.
Die Unterschrift in Klasse IV (8. Schj.) kann ich leider im Zeugnis nicht entziffern.
Beim Durchlesen des Briefverkehrs zwischen Frau Dr. Rapp und meinem Elternhaus, konnte ich feststellen, dass die Schulleiterin engen Kontakt zu den Eltern pflegte. Auch dies war für die damalige Zeit sehr fortschrittlich.
Baulich gesehen war im Jahre 1956 von der Waldschule nicht viel zu sehen. Es gab ein Haupthaus, in dem im ersten Stock die Verwaltung untergebracht war. Das Erdgeschoss, sowie auch das Untergeschoss bestanden aus nur wenigen Fachräumen. Daneben befand sich ein lang gezogener Bau mit drei oder vier Klassenzimmern. Als Pausenhof hatten wir eine riesige Wiese, die sicherlich für spätere Neubauten herangezogen wurde.
Die staatliche Anerkennung war bis Klasse IV (8. Schuljahr) vorhanden.
In meiner Klasse II (6. Schuljahr) mussten wir für ein Jahr in ein provisorisches Klassenzimmer umziehen. Die Schule hatte das Vereinsheim der Stuttgarter Kickers angemietet. Genau neben dem Fernsehturm, der zu dieser Zeit erst seit zwei Monaten eröffnet war. Das Fußballspielfeld war unser Pausenhof, was uns natürlich dazu verführte, in jeder Pause auf das für uns riesige Tor zu spielen. Wenn es dann im Herbst und Winter öfter nebelig war, hatte unsere Klassenlehrerin Frau Heyer Mühe, uns stimmlich zu erreichen oder gar überhaupt zu finden. Wir machten uns nämlich einen Spaß daraus, uns im dichten Nebel zu verstecken. In dieser Dependance gab es natürlich keine Schulglocke, die uns zum Unterricht rief. Sehr gut erinnere ich mich noch an das Spiel der kreisenden Scheinwerfer des Fernsehturms, die bei Nebel ziemlich unheimlich auf uns wirkten, die ihn förmlich durchschnitten.
Folgende Namen haben das Foto unterschrieben:
Gerhard Kresdorn, Ingrid Herz, H. Denninger, Peter Loos, W.-D. Bayer,
Volker Schwarz, Eberhard Holl, Ursula Schumm, Schiefer, Karl-Josef Tschan, Marion Klotz, E. v. Crailsheim, M. Lippert, Pichl, Jürgen Ebensperger,
Rainer Mühlbach, Katrin Paschke, G. Berger, E. Pfeifer, Christl Sailer, H. Trier, Beate Zürn, R. Göhler, Arno Goerz, Günther Schäfer, Cosy Werner, Michael Leschinski.
Als Fahrschüler kam ich täglich aus Esslingen mit Bus, Bahn und der Straßenbahnlinie 10 vom Hauptbahnhof. Viele meiner Mitschüler waren die ganze Fahrt über damit beschäftigt, die Hausaufgaben abzuschreiben. Der einzige Unterschied zu heute dürfte wohl der sein, dass die Weichen uns jedes Mal mächtig durchrüttelten und man ständig mit dem Schreiben aufhören musste. Je nach Menge der abzuschreibenden Hausaufgaben, hatte man dann schon Mühe, mit den Hausaufgaben fertig zu werden. Mit den Schülern der Merzschule bestand kein Kontakt, obwohl wir doch täglich in derselben Bahn fuhren. Von der Ruhbank war es für uns Kleine ein weiter Weg bis zur Schule.
Überhaupt war das Schreiben der Hausaufgaben in der Gruppe wesentlich lustiger und man konnte vor allem auch die aufsichtsführenden Erwachsenen um Erklärung und Hilfe bitten.
Nach dem normalen Schulvormittag gingen die Schüler, die in Degerloch und Sillenbuch wohnten, in der Regel nach Hause. Für uns, etwa 20-25 Schüler der 5. und 6. Klassen, begann das Tagheim, wie die Mittagsbetreuung genannt wurde. Das Mittagessen wurde in der Schule eingenommen, wer es zubereitet hat, entzieht sich meiner Kenntnis.
Danach wurden in eines der Klassenzimmer einfache Liegepritschen getragen, auf denen man sich zugedeckt ausruhen musste. Ich erinnere mich, dass ich so manches Mal einschlief, denn mein Tag begann morgens kurz vor 6 Uhr. Frau Bauer, die Tagheimleiterin, hatte immer ein schönes Buch dabei, aus dem sie uns vorlas. Diese Mittagspause dauerte etwa eine halbe Stunde. Daran schlossen sich die Hausaufgaben an.
Etwa ab der 7. Klasse war es oft so, dass in der Mittagspause vor den Hausaufgaben ein Waldspaziergang gemacht wurde. Dank der unmittelbaren Nähe zum Wald konnten wir dort spielen und toben. Geländespiele, Schnitzeljagden, Verstecken, all das waren willkommene Abwechslungen. Die Biologie des Waldes bekamen wir auf diese Art und Weise von selbst mit. Es gab keinen noch so kleinen Weg im Wald, den wir nicht kannten.
Mittagsunterricht gab es wenig. Üblich war am Nachmittag, dass man Sport hatte.
Ich erinnere mich noch sehr genau an den Weg zur Turnhalle. Die Waldschule hatte keine eigenen Sportanlagen und auch keine Turnhalle. Die nächstgelegene Sporthalle war am Waldrand in Sillenbuch. Folglich mussten wir den Weg zur Turnhalle zu Fuß zurücklegen. Einige hundert Meter auf dem Königsträßle Richtung Ruhbank und dann ging es quer durch den Wald mindestens 20 Minuten lang bis zur Sporthalle. Der Hausmeister dort verkaufte für uns Leckerbissen. Es waren dick mit Senf bestrichene Brotscheiben. Dazu kauften wir eine Flasche Sprudel und waren glücklich damit.
An einem oder zwei Nachmittagen gab es Workshops. Die Schule stellte ein breit gefächertes Angebot zur Verfügung. Ich begann zu dieser Zeit mit dem Florettfechten. Ein ausgezeichneter Sport. Herr Kühner, unser Fechtlehrer, verstand es vorzüglich, uns diese Sportart schmackhaft zu machen. Es war anstrengend und man hatte auch jedes Mal einen kräftigen Muskelkater sowohl in den Oberschenkeln als auch in den Armen. Wir Jungen hatten natürlich den Ehrgeiz, möglichst viele Gefechte zu gewinnen. Mein Freund Michael Leschinski war mir an Reaktionsschnelligkeit meist überlegen, was mich natürlich immer wieder anspornte, ihn doch noch einmal herauszufordern. Meine Fechtabzeichen, mein Florett und auch meine Gesichtsmaske besitze ich noch heute.
Junge Lehrer gab es zu meiner Zeit nur wenige. Die meisten waren in gesetzterem Alter. Ich erinnere mich an: Frau Dr. Rapp als Schulleiterin mit dem Fach Deutsch. Herrn Kiemle, unser allseits beliebter Mathematiklehrer, Frau Heyer als Englischlehrerin und Frau Schmid-Hidding, unsere Französischlehrerin. Frau Sohm unterrichtete Sport.
In der Verwaltung saß Herr Kurz.
Nach dem IV. Schuljahr (Klasse 8) ging ich von der Waldschule weg, da sie wie schon erwähnt, nur bis zu dieser Klassenstufe staatlich anerkannt war.
Ein Schultyp, der zur damaligen Zeit sicherlich zu den Vorreitern moderner pädagogischer Ideen zählte.
Es hat Spaß gemacht, an dieser Schule zu sein. Dies ist eine der wichtigsten Erfahrungen, die ich aus der Waldschulzeit in mein eigenes Lehrerleben mitgenommen habe. Es geht nicht um die „Fungesellschaft“, sondern darum, dass man in entspannter Atmosphäre gut lernen konnte.
Die Waldschule hat mir gezeigt, dass man mit Ausdauer und zähem Durchhalten ein Ziel erreichen kann. Ich möchte den heutigen Schülern der Waldschule das Wort von Walt Disney mit auf den Weg geben: „Wenn du es dir vorstellen kannst, kannst du es auch machen“.
Ich habe mein Ziel, selbst einmal eine Schule zu leiten, damit erreicht.
Ich wünsche der Schule für die Zukunft alles Gute und weiterhin viele innovative Ideen
Günther Schäfer, Dezember 2006